Mail Art Show Reeperbahn 1997

"Wenn es stimmt, daß die Information über das Wissen der gesamten modernen Kunstforschung größer ist als irgendein einzelner Künstler jemals verstehen könnte, dann ist das Konzept der Avantgarde überholt. Wer kann mit seinem unvollständigen Wissen schon sagen, wer vorne ist und wer nicht.
Ich schlage vor, jeden einzelnen Künstler als Teil eines ewigen Netzwerkes zu betrachten".

Robert Filiou, 1973

Mail Art oder Netzwerkkunst ist die alternative Kunst, die ihren Akzent auf die Kommunikation setzt. Kommunikation ist ihre Botschaft. Eine Kommunikation, die Grenzen überschreitet, sowohl in räumlicher, als auch in geistiger Hinsicht. Mail Art Network betrachtet Kunst als Produkt von Kommunikation, Frucht menschlischer Arbeit (the work) und als ein Geflecht von Beziehungen zwischen den Sendern, vereint in einem Netz (the net ), das ihnen die Verbindungen ermöglicht. Ähnlich dem Internet, in dem es auch keine Zentrale gibt, handelt jeder networker (mail artist) als ein Knotenpunkt von Recyclement und Schaffung von Kommunikation und Information.

Mail Art ist also kein Stil, eine bestimmte Technik oder eine von den Vielen "ismen" in der Kunst, sondern ein gestalterischer Prozess in Gemeinschaft. In Mail Art ist jeder Mensch willkommen. Alle Teilnehmer gelten gleich, der Austausch erfolgt per Post, Fax, E-mail und World Wide Web. So entsteht eine globale Kultur von Unten in weltweiten Netzwerken von Künstlern verschiedenster Disziplinen. Vertreten ist die Performancekunst, ebenso wie die Musik, Video, Stempelkunst , Konzeptkunst, Malerei, Grafik, Dichtkunst, Visuelle Poesie, Land Art, Body Art, Multimedia und vieles mehr; auch hier setzt das Mail Art Konzept, dessen Wesen interdisziplinär ist, keinerlei Grenzen.

Diese Mail Art oder Networking Art genannt, hat sich aus Ray Johnsons New York Correspondence School of Art und Fluxus seit über 40 Jahren stetig weiterentwickelt. Einige Theoretiker behaupten, dies sei die größte grenzüberschreitende Künstlerbewegung, die es je gab. Eine weltweite kreative Auseinandersetzung, die sich abseits vom Markt bewegt und entwickelt.

Da die Kunstwerke im Austausch verschenkt werden, sind diese für den offiziellen Kunstmarkt nicht interessant. Trotzdem wird dieses weltweite Phänomen auch von Museen gesammelt und ausgestellt. Am lebendigsten ist sie jedoch im internationalen Austausch, Zusammenarbeit und Ausstellungen wie dieser, wobei das Prinzip einer Mail Art Ausstellung ist, daß alle Einsendungen gezeigt werden: es gibt also keine Jury, die die Werke auswählt.

Für unsere Mail Art Installation "Reeperbahn 1997", die speziell für die ElbArt97 im alten Elbtunnel konzipiert wurde, haben wir weltweit unsere KollegInnen aufgefordert, eine alte Ansicht der Reeperbahn von vor 100 Jahren zu überarbeiten und damit ihren Beitrag zu dieser Ausstellung zu leisten. Eine Ausstellung, die sich mit dem Thema und der Problematik des "Rotlichtmilieus" befasst. Diese Reeperbahn, nur wenige Schritte von dem alten Elbtunnel entfernt, ist die berühmteste Strasse der Welt und das Herz von St.Pauli. Sie durch diese Mail Art Show künstlerisch hierherzuholen, ist aber auch ein Aufzeigen der Beziehungen zwischen Markt und Seele, zwischen Körper und Geschäft, zwischen Prostitution und Kunst.

Teilnehmer Hans Braumüller + Merlin, Hamburg 1997